Samstag, 24. Dezember 2022

#Eine etwas andere Weihnachtsgeschichte

Gestern habe ich von einer Seelsorgerin diese Geschichte als Mail bekommen.

Was bedeutet eine geglückte Weihnacht?

Ich denke an die Einladung bei Freunden. Es gab gutes Essen, ausgezeichneten Wein, eine warme Stube. Später kamen wir auf das anstehende Weihnachtsfest zu sprechen.
Jemand warf ein, dass es gewisser Bräuche und Düfte bedarf, um glückliche Weihnachten zu erleben.
Lebhaft tauschten wir Erinnerungen aus. Jeder wusste, was auf keinen Fall fehlen darf, um an Weihnachten glücklich zu sein.
Einige hatten Mut zur Ehrlichkeit.
>Der ganze Stress, das Hin- und Her, die vielen Verbindlichkeiten, zu denen ich mich verpflichtet fühle, sind einfach anstrengend<, hörte ich. 
Eine alte Freundin erzählte, dass  sie Weihnachten stets voller Spannungen in der Familie erlebe. >Es wird viel gestritten. Jedes Jahr gibt es anderen Ärger. Sie sei immer froh, wenn der Budenzauber vorüber sei.
>Ja<, ergänzte sie wehmütig, >noch nie ist mir Weihnachten wirklich geglückt.<
Die Worte beschäftigen mich lange.

Geglückte Weihnacht: Heißt das, an Weihnachten froh zu sein? 
Glücklich im Sinne von harmonischer, feierlicher, besinnlicher Weihnacht. Darf ich vom Weihnachtsglück sprechen, wenn der Tag ohne Konflikte verläuft? Wenn das Essen gelingt, der Kirchgang befriedigt, die Geschenke erfreuen, die Augen leuchten.

Was aber ist mit den Menschen, die an Weihnachten Lichtjahre von irgendeiner Freude entfernt sind?

Mir unvergessen bleibt eine Weihnacht, an der ich für den Rundfunk zwei Stunden ‚Notruftelefon für einsame Menschen‘ übernahm. 
Den Anruf werde ich nie vergessen. Ich erlebte zwei Stunden randvoll gefüllt mit Leid. 
Ein Familienvater war am Apparat. Ich hörte ihn schwer atmen, nach Worten ringen, doch da kam keine Silbe über seine Lippen. Nur trockenes Schluchzen drang an mein Ohr.
Es brauchte Zeit ehe ich über sein Schicksal im Bilde war. Seine Frau war Tage zuvor an Krebs verstorben. Sie ließ ihn mit drei kleinen Kindern zurück. Das jüngste war gerade einmal vier Jahre alt.
Der Mann hatte sich in der Küche eingeschlossen, um nichts mehr zu hören und zu sehen. 
Die Kinder weinten und riefen nach ihm. Ihm fehlte die Kraft und der Mut, sich den harten Bedingungen zu stellen.

Er sagte: >Sagen Sie mir nur das eine: Was soll ich jetzt tun? Mehr will ich nicht wissen. Weihnachten interessiert mich nicht.<
Ratlos hing ich an der Strippe und war für den Augenblick selbst an diese Katastrophe gefesselt.
Auch mir stand plötzlich nicht der Sinn nach Weihnachten. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass der Unbekannte und ich, den Lichterglanz der Weihnacht um Lichtjahre verfehlten. Die Strahlkraft des Sterns von Bethlehem erhellte mit keinem einzigen Funken unsere Gemüter.

Ich antwortete, dass ich kein tröstliches Wort wüsste. Mir fiele nur eines ein: 
Er müsse für seine Kinder kochen.
>Setzen sie sich mit ihnen an den Tisch. Einzig das müssen Sie heute schaffen, mehr nicht.<
Stille trat ein.
„Kochen kann ich nicht“, raunte er. „Das hat meine Frau gemacht.“
Ich fragte: „Haben Sie einen Kühlschrank?“
„Ja“. 
„Dann hocken Sie sich davor und geben mir den Inhalt bekannt.“
Ich entwarf ein einfaches Essen aus den Zutaten, die verfügbar waren. Und so kochten wir. 
Der Mann schluchzend und verzweifelt. Ich ohnmächtig, aber die Regie übernehmend. 
Es ging nur mühsam voran. 

Das Telefon war auf Lautsprecher gestellt. Ich hörte ihn kramen und weinen, stammeln und reden.
„Und jetzt müssen Sie den Tisch decken und ihre Kinder holen und ihnen sagen, warum Sie traurig sind. Vielleicht haben Sie die Kraft, sie zu umarmen und zu trösten. Sie müssen mit den Kindern über ihren Schmerz reden und dass Sie sie lieben.
Ein wertvolleres Weihnachtsgeschenk gibt es nicht.

Am Schluss liefen auch mir die Tränen. Der Abschied fiel unsagbar schwer. Keiner wagte aufzulegen. Irgendwann musste es sein. Ich musste den einsamen Mann in der Küche allein mit seinem Verlust und seiner Verwundung lassen.

Gott mit dem Namen „Ich bin da“ -  als dein Gott, der deinen Schmerz sieht und deine Klagen hört. …
Dieser Gott kam mir plötzlich so fremd und weit entfernt vor.
Viele Menschen werden in diesem Jahr ähnliches erleben? Verlust, Trauer, Schmerz - Wunden eines schrecklichen Kriegs, Hunger, Kälte, Heimatlosigkeit.
Eine geglückte Weihnacht … Was bedeutet das? Und wie darf es gelingen?

Den Hirten, von denen uns die Weihnachtsgeschichte erzählt, denen ist Weihnachten geglückt. Davon berichtet das Evangelium.
Aber warum gerade ihnen?

Ein Kind, das in einer Krippe liegt, ist nicht automatisch das Wunder der Weihnacht. 
Ein Kind in Windeln gewickelt: O ja, das kannten das Hirtenvolk zur Genüge. Das gehörte zu ihrem Alltag. 
Weinend und in Erbärmlichkeit jammernd, das ist für die schlichten Hirten die Erfahrung der Armut. Für sie war das schmerzliche Realität.

Was für ein Heil sollte sich darauf gründen? 
Um es paradox zu sagen:
Nichts, rein gar nichts, hätten die Hirten gesehen ohne die Erscheinung der mächtigen Lichtgestalt, des Engels.
Der Apostel Paulus spricht von einer wesentlichen Voraussetzung, ein Wunder erleben zu können.
Er spricht von Auf-Blicken, von Hinauf-Wahrnehmen, nennt es ein Hinauf-Erkennen.
Die Hirten tun genau das.  
Ihre Augen nehmen den Engel wahr, ihre Ohren hören seine Botschaft.

Gott tritt in die Welt, der Erwartete ist da. 
Es gilt zu sehen, was man nur mit den inneren Augen, der Sehkraft des Herzens, wahrnehmen kann, 
inmitten der Zerbrechlichkeit, inmitten der Armut, nirgendwo sonst.
Es ist der Augenblick, wo der Tag am kürzesten und die Dunkelheit am längsten ist. Der Moment, wo das Licht zu sterben droht.
Wir alle kennen schwere Situation in unserem Leben, tiefe Dunkelheiten.
Gott schenkt den Hirten gläubiges Erkennen.
„Ich bin da.“

Weihnacht 2022. 
Möge der Menschensohn in diese verletzte Welt kommen.
>Und das Wort ist Mensch geworden und hat unter uns gewohnt.< 
Die Verzweiflung wird es zur Welt bringen.
Die Müdigkeit wird es erwarten. 
Die Sehnsucht wird nach ihm rufen.
Aber möge er ankommen, der Heiland der Welt! Sein Reich komme!

Damals am Telefonhörer hielt ich das für nahezu unmöglich.
Dem verzweifelte Familienvater ging es nicht anders.
Hatten wir vergessen die Augen zum Himmel zu heben? Sicherlich.
Aufzublicken:
Etwas zu erkennen, was mit meiner persönlichen Geschichte und der des göttlichen Kindes zu tun hat. 
„Ich bin da“ - für dich da. Dazu bin ich vom Himmel herabgestiegen.“
Vor Ohnmacht und Schmerz hatten wir das vergessen.

Im letzten Jahr läutete es an meiner Tür. Der Unbekannte aus der Küche stand mit seiner Familie vor mir. Er stellte mir eine sympathische Frau vor. Sie ist die Kindergärtnerin der Kleinen. Nun seine Freundin. Er strahlte. Sie strahlte und die Kinder auch.
Seiner Frau im Himmel wird das gefallen.


Wachen wir! - Wie die Hirten es taten.
Wachen wir darüber, dass der Keim der Hoffnung nicht erstickt werde.
Benutzen wir unsere Ohren. Horchen wir!
>Ehe ich komme, lasse ich es euch erlauschen.<
Inmitten all des Lärms? …. Es braucht Aufmerksamkeit, Gott im Schweigen zu erlauschen?
Benutzen wir unseren Mund für warme Worte - tröstende, wahrhaftige, mutmachende.
Gott wohnt im Mund und auf der Zunge eines jeden Menschen.
Benutzen wir unser Hände, dass sie für andere zum Segen werden. 
Nichts, was unsere Hände ergreifen, sollte zerstören.

Geglückte, gesegnete Weihnachten! 

Monika Rudolph © 2022  Hannover
Weihnachten 2022

Videoproduktion © 2022  Hannover
Burkhard Henze

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