Samstag, 9. September 2017

Essen gehen

Sage mir, was du isst, und ich sage dir, wer du bist.“ – Das bekannte Wort von Jean Anthelme Brillat-Savarin gilt in der Gegenwart mehr denn je: Wir sind Vegetarier, Veganer, Rohköstler oder Pescetarier, und wir kaufen auf dem Wochenmarkt, im Bioladen oder gar auf dem Biohof, im Discounter oder im Supermarkt ein. Damit verbunden werden  bestimmte Persönlichkeitsprofile, wer und wie jemand ist, Werthaltungen und Lebenskonzepte; vor allem aber werden durch die Wahl der Nahrung soziale Zugehörigkeiten geschaffen. Der Vegetarier kaut beim Grillabend verdrossen auf seinem trockenen Brot mit einigen Sojascheiben und ist außen vor, der Fleischesser hofft im veganen Café vergeblich auf eine Scheibe Schinken zum Frühstück und fühlt sich fehl am Platz. Dabei werden mit einer bestimmten Ernährung Gesundheitserfolge verbunden. Wer sich „richtig“ ernährt, der wird bestimmt nicht krank werden, erfährt das Gute bereits im Diesseits und lebt länger. Ich kann mich selbst durch meine Ernährung erlösen – so lautet die frohe Botschaft. Essen und Trinken dienen so gesehen nicht nur der Bedürfnisbefriedigung, sondern sind identitätsstiftend, für den einzelnen wie für die verschiedenen Gruppen. Gleichzeitig eignet dem Essen und dem Trinken – auch wegen ihres Symbolisierungspotentials – eine fast religiöse Dimension. Das zeigt sich ebenfalls in den biblischen Texten.In  meiner gläubigen Perspektive gibt es fast keinen theologie-freien Raum im Leben. Das betrifft auch und gerade Essen und Trinken. Essen und Trinken, Brot und Wein, gelten als Gabe Gottes, als unverfügbares Geschenk wie das Leben selbst. Zu trinken und zu essen dient der Lebenserhaltung, ist Freude und Glück zugleich und macht die Liebe Gottes zu seiner einzigartigen Schöpfung erfahrbar. Essen und Trinken verbinden Menschen miteinander, und für den, der gläubig ist, ist diese Verbundenheit auch die mit dem, der die Nahrung gibt. Zugleich sind Essen und Trinken auch der dringende Appell an die Menschen, die Bedürftigen zu versorgen. Da der Mensch sich nicht in der Sorge um sich selbst verlieren muss, weil er auf die göttliche Sorge vertrauen darf, wird er frei für den Blick auf die Nöte des Anderen. Wenn er für diesen zum göttlichen Versorger wird, begegnet er im Anderen Gott. Essen und Trinken werden so zur Möglichkeit, Gemeinschaft mit Gott zu erfahren. Davon zeugen die Bilder vom göttlichen Gastmahl. Mit ihnen wird die umfassende Macht des weltumfassendes Bedürfnisses nach Nahrung deutlich. So können Essen und Trinken auch zum globalen Heil im Reich Gottes werden.
Burkhard Henze
https://dailyverses.net/de/essen

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